Geschlechtergerechte Sprache: Vom Denken in neuen Kategorien
Dieser Begriff fasst in einem kurzen Wort zusammen, dass wir nun eine Sprache benutzen, die nicht (in erster Linie) männlich geprägt ist, sondern gleichzeitig sowohl Frauen als auch nicht-binäre Menschen einschließt. Haben Sie sich zwischenzeitlich an unser Sternchen und die substantivierten Adjektive gewöhnt, stören Sie sich noch immer daran oder sind sie vielleicht gar Verfechter*in der geschlechtergerechten Sprache?
Der Begriff „Gendern“ leitet sich von dem englischen Substantiv „gender“ ab, mit dem das soziale Geschlecht bezeichnet wird. Dieses ist – anders als das englische Wort „sex“, das wörtlich genauso mit Geschlecht übersetzt werden kann – unabhängig von biologischen Merkmalen. Es beschreibt das Geschlecht, dass die Gesellschaft oder man selbst sich zuschreibt. Oft orientiert man sich dabei an vermeintlich rollentertypischen Merkmalen wie Interesse an Fußball, Faible für rosa Polohemden oder dem Talent für Balletttanz. Alles ziemlich eindeutig männlich oder weiblich. Oder etwa doch nicht?
Warum das Ganze?
Weil wir unsere Beiträge nicht nur an Männer richten, sondern auch an Frauen und alle, die irgendwo dazwischen liegen oder sich schlichtweg nicht einer Einteilung in Mann und Frau unterwerfen wollen, haben wir uns im Herbst 2019 entschlossen, zu gendern. Unsere Leser*innen sind genauso vielfältig wie die Themen unserer Artikel. Diesem Umstand wollten wir mit unserer Entscheidung Rechnung tragen.
Nun könnte man anführen, dass das generische Maskulinum, also die Verwendung der männlichen Form, die dennoch alle Geschlechtsidentitäten einschließt, ausreiche. Wir sind da anderer Meinung.
Sprache formt die Realität
Das Prinzip der sprachlichen Relativität besagt, dass „Sprache ein Netz ist, das über die Wirklichkeit geworfen wird“. Die Netze der unterschiedlichen Sprachen weisen demnach unterschiedliche Maschen auf.
Während ein Eskimo unzählige Arten von Schnee kennt – je nachdem, ob dieser gerade fällt, bereits gefallen ist oder sich schon länger auf dem Boden befindet – haben wir für alle diese Arten des weißen Winterpulvers nur einen einzigen Begriff: Schnee. Wenn wir Dinge nicht benennen können, existieren sie auch nicht. Da, wo ein Wort für diese Dinge sein sollte, ist eine Masche – man greift ins Nichts.
Allein dadurch, dass wir über etwas sprechen, wird diese Sache präsent in unserer Vorstellung. Selbstverständlich gibt es auch Kritik an dieser Theorie, aber in unseren Augen ist in Teilen schon etwas dran. Durch die Präsenz von Frauen und nicht-binären Personen in unseren Texten steigt die Wahrnehmung dieser Personengruppen.
Mehr als bloß ein Stern
Nun muss es nicht immer der (für manche gewöhnungsbedürftige) Gender Star sein. Auf der Webseite Genderleicht, einem Projekt des Journalistinnenbundes mit Unterstützung des Familienministeriums, werden die beliebtesten Arten des Genderns vorgestellt. Aus zwanzig kreativen Möglichkeiten, mit der deutschen Sprache zu spielen, wurden die gängigsten neun ausgewählt und genauer vorgestellt.
Das generische Maskulinum: Schüler
Hier werden angeblich Männer wie Frauen angesprochen.
Schrägstrich: Schüler/-in
Die von der Gesellschaft für deutsche Sprache 2020 empfohlene Kurzform.
Binnen-I: SchülerIn
Diese Möglichkeit, um in einem Wort Männer und Frauen zu nennen, kam bereits in den 1980ern auf.
Gender Gap: Schüler_in
Der Knack- oder Verschlusslaut, der jetzt immer öfter beim gesprochenen Gendern zu hören ist, ist hier grafisch dargestellt.
Gender Star: Schüler*in
Das Gendersternchen steht für geschlechtliche Vielfalt, denn alle Geschlechtsidentitäten sind hier eingeschlossen.
Generisches Femininum: Schülerin
Analog zu Option 1, bloß andersrum. Hier wird die weibliche Form genutzt – in der Hoffnung, auch Männer fühlen sich angesprochen.
Ausrufezeichen: Schüler!in
Warum sollte extravagante Interpunktion nur im Spanischen möglich sein? Für mehr ¡ und ! in der deutschen Sprache!
Doppelpunkt: Schüler:in
Die neueste Möglichkeit, schnell und effizient alle Geschlechter auf einmal zu benennen (und zu tippen).
Substantiviertes Partizip: Lernende
Diese Option hat den Vorteil, dass sie als Oberbegriff für alle Geschlechter dient. Ist aber leider nicht immer anwendbar.
Der oder die Salzstreuer*in?
Natürlich hat das Gendern auch bei uns seine Grenzen. In den folgenden Fällen drücken wir gerne mal ein Auge zu und verzichten auf eine vermeintlich gendergerechte Formulierung:
Geschlechtsneutrale Begriffe
Als unnötig erachten wir es, geschlechtsneutrale Begriffe zu gendern. Es heißt weder „die Menschin“ noch „die Mitgliederin“, sondern schlicht und einfach „der Mensch“ und „das Mitglied“. Ähnlich verhält es sich mit der Nachsilbe -kraft: die Fachkraft, die Pflegekraft, die Lehrkraft. Zwar werden diese Substantive von einem weiblichen Artikel begleitet, dennoch sind damit auch Facharbeiter, Pfleger und Lehrer gemeint.
Zusammengesetzte Substantive
Würden Sie die folgenden Wörter gendern: Bürgersteig, Arztbesuch, Anfängerkurs? Also: Bürger*innensteig, Ärzt*innenbesuch, Lehrer*innenzimmer. In unseren Augen sieht das nicht schön aus und erschwert zudem den Lesefluss. Aus diesen Gründen verzichten wir bei abstrakt zusammengesetzten Substantiven entweder auf das Gendersternchen oder benutzen gleich komplett andere Wörter: Gehweg, Besuch der ärztlichen Sprechstunde, Einstiegskurs. Ist doch gar nicht so schwer!
Verben
Verben zu gendern halten wir ebenfalls für eine denkbar schlechte Idee: „Nachdem ich vom Fahrrad gefallen bin, bevaterte mich erst mein Freund, dann brachte er mich ins Krankenhaus, wo ich verärzt*innent wurde.“ Klingt nicht nur ungewohnt, sondern ganz und gar unverständlich.
Adjektive
Nicht nur bei Verben, auch bei Adjektiven gibt es einige, die nicht wirklich geschlechtsneutral sind: freundlich, künstlerisch, gastlich. Auch hier ist es unüblich zu gendern, indem man die weibliche Form vor die Endung setzt. Unserer Meinung nach sollte man diese Adjektive einfach so lassen, wie sie sind. Oder komplett austauschen. „Fachmännisch“ beispielsweise lässt sich leicht durch „fachkundig“ ersetzen. Die provokative Frage, ob das weibliche Pendant zu „herrlich“ dann „dämlich“ ist, wollen wir Redakteurinnen an dieser Stelle lieber nicht kommentieren. (Und ja, wir sind in der Redaktion tatsächlich nur Frauen!)
Entscheiden Sie selbst!
Trotz all dieser Fallstricke werden wir weiterhin versuchen, wo es geht, auf eine wertschätzende Sprache zurückzugreifen. Möglicherweise können wir damit zu mehr Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern beitragen. Auf alle Fälle können wir damit erreichen, dass Frauen und nicht-binäre Menschen sich „gesehen“ fühlen. Ein Kollege erzählte mir kürzlich, dass er in einem Online-Formular sein Geschlecht angeben musste. Zur Auswahl standen: männlich, weiblich und – benutzerdefiniert. Dahin sollten wir kommen, denn: Auf diese Weise darf jede*r selbst entscheiden, wie viel blau und wie viel rosa er*sie ist.