"Wenn Lehrlinge freiwillig nachsitzen"
Sächsische Zeitung
Donnerstag, 28. April 2005
Wenn Lehrlinge freiwillig nachsitzen
Von Anne Obenaus
Probleme in Mathe oder Deutsch? An den Euroschulen Riesa/Meißen haben Azubis die Möglichkeit, ihre Wissenslücken kostenlos auszufüllen.
Wer von euch hat nicht schon einmal verzweifelt vor seinem Mathebuch gesessen und keine Lösung bei der Zinsrechnung gefunden? Dieses Problem ist derzeit weit verbreitet, besonders unter Berufsschülern. Die Euroschulen Riesa/Meißen haben sich dieses Problem auf ihre Fahnen geschrieben und das Projekt "Ausbildungsbegleitende Hilfen" (AbH) ins Leben gerufen. Es soll speziell Auszubildende unterstützen, die Probleme haben, in der Berufsschule hinterher zukommen. Gefördert werden die AbH durch die Agentur für Arbeit.
Wer sich jetzt gefüllte Klassenzimmer, Schulklingel und Frontalunterricht unter AbH vorstellt, täuscht sich gewaltig. Bernd Kittler, Projektleiter und Sozialpädagoge, beschreibt den Unterricht als "individuellen Förderunterricht in kleinen Gruppen zu maximal fünf Schülern." Sogar Einzelunterricht kann gewährleistet werden, dies richtet sich nach dem Ausbildungsfach. Beispielsweise gibt es derzeit an den Euroschulen einen Pferdewirt, der natürlich nicht mit Metallbauern zusammen unterrichtet werden kann.
Die größten Probleme sieht Bernd Kittler in Mathematik: "Die Schüler können nichts mit Grundrechenarten anfangen. Selbst die Flächenberechnung fehlt schon." Die Probleme würden nicht in der Berufsschule, sondern in den Real - oder Hauptschulen liegen. Nicht nur in einem Fach werden die Lehrlinge unterrichtet. Je nach Bedarf können mehrere Fächer gefördert werden.
Lernen ohne Zwang
Auch bei Prüfungsstress sind Azubis in den Euroschulen richtig. Denn werden sie ausgiebig auf Prüfungen vorbereitet. "Es besteht kein Zwang. Zu uns kann jeder freiwillig kommen und auch aufhören, wenn er nicht mehr will", sagt Kittler. "Aber man sollte den Unterricht regelmäßig besuchen, um Ergebnisse zu erreichen."
Der Unterricht erfolgt nach individueller Absprache und absolut zwanglos. Die Lehrer wollen eine Vertrauensbasis zu den Schülern aufbauen und sie motivieren. Derzeit nutzen 55 Lehrlinge aus 28 unterschiedlichen Berufen die Euroschulen Riesa/Meißen. Um in das Programm aufgenommen zu werden, reicht ein Besuch in der Agentur für Arbeit aus. "Die meisten Azubis sehen ein, dass sie was machen müssen," erzählt Bernd Kittler über die Gründe, weshalb die Azubis sich für die AbH anmelden. Hier wird geprüft, ob diese Hilfe wirklich gebraucht wird. Nach Bedarf begleitet auch Bernd Kittler die Lehrlinge und unterstützt sie bei dem Gespräch. Vor allem gewerblich-technische Berufe, wie Metallbauer oder Kaufmann, sind zurzeit in den Euroschulen. Aber Restaurantfachfrauen nutzen das Angebot.
Nach der Anmeldung und Zusage der Agentur für Arbeit erfolgt ein Gespräch mit dem Azubi und ein gezieltes Förderprogramm wird erstellt. Hier werden gemeinsam mit dem Schüler Ziele gesetzt. Zum Beispiel gab es einem Kaufmann-Azubi, der sich mit der Zinsrechnung schwer tat. Also erhielt er eine gezielte Förderung in Rechnungswesen. Mit mindestens drei Wochenstunden verbessern sich die Leistungen, so dass 90 Prozent der "Euroschüler" ihre Prüfungen bestehen.
Trotz all dieser positiven Ergebnisse kennen nicht viele Berufsschüler diese Möglichkeit, die ihnen zu einem besseren Berufsstart verhilft. Da der Nachhilfeunterricht kostenlos ist, müssen die Azubis nur das Wissen über ihre Lernschwächen und den Willen, sich zu verbessern, mitbringen.