Es geht uns gut

Es geht uns gut

28. September 2020

Die Pandemie, mit allem, was sie uns auf gezwungen hat, wird noch eine ganze Weile bei uns bleiben. Die Vorstellung, noch in diesem Jahr zu einem „normalen“ Stundenplan mit voller, täglich achtstündiger Anwesenheit unserer Teilnehmer*innen zurückzukehren, ist nur eitle Träumerei, ein flüchtiger Nebelgeist über dem Verstand, von des lauen Spätsommers sanfter Winde ins verklärte Auge getragen…

Kein Präzedenzfall

Entschuldigung, geht schon weiter. Die Zeit seit dem letzten April war sicherlich für viele die anstrengendste, die sie während ihrer Arbeitszeit im Förderzentrum für Flüchtlinge erlebt haben, wenn nicht überhaupt in ihrem Leben. Denn: Es gibt keinen Präzedenzfall. Niemand, der nicht mindestens die spanische Grippe (1918-1920) miterlebt hat, kann ernsthaft so etwas sagen wie „das ist genau wie damals, als…“ - und ehrlich gesagt macht mich schon diese Abwesenheit der weisen Instanz, die mir sagt, dass wir das letztes Mal auch geschafft haben, etwas unsicher. Also, keine Panik, wir schaffen das schon. Wir haben als Menschheit schon ganz andere Sachen in den Griff gekriegt und dramaturgisch macht es auch viel mehr Sinn, wenn uns der Klimawandel erledigt – so wegen Hybris und so. Aber es ist halt keiner da, der mir mit voller Zuversicht aus Erfahrung sagen kann: „Das wird schon wieder.“

Realitätsflucht als Lösung?

Es gibt zwei Sachen, die da helfen können. Die erste ist Realitätsflucht. Wir können uns problemlos einen Schuldigen an dem Ausbruch des Virus konstruieren – zur Auswahl stehen da unter anderem die Chinesen, G5 und Bill Gates (den stinkenden Sumpf derer, die jene verdächtigen, die immer verdächtigt werden, umrunden wir an dieser Stelle mit großem Abstand). Dann können wir von unserem designierten Schuldigen verlangen, den Virus sofort zu stoppen und uns prächtig echauffieren, wenn Bill Gates nicht sofort seine Chinesen anweist, das G5-Netz abzuschalten.

Von dieser Taktik, so einfach und tröstend sie auch sein mag, ist abzuraten.

Besser: ein gründlicher Realitätscheck!

Der zweite Ansatz ist das genaue Gegenteil, nämlich ein gründlicher Realitätscheck. Was ist eigentlich mir, was ist uns durch SARS-CoV-2 passiert? Privat war mein Leben während des Lockdowns deutlich stressiger als vorher und ich muss immer noch jede Menge Zugeständnisse machen. Ich vermute sehr, dass meine Kolleg*innen ähnliche Erfahrungen gemacht haben. Von persönlichen Tragödien, die sich auf das Virus zurückführen lassen, habe zumindest ich jedenfalls nichts gehört.

Nicht schlechter, sondern anders

Beruflich? Naja, ich habe eine ganze Zeit lang weniger gearbeitet und mehr meine Kinder betreut. Daran kann man sich auch gewöhnen. Der Unterricht ist mit weniger Teilnehmenden nicht einfacher geworden. Es ist schwerer, eine Dynamik zu erzeugen. Ständig neue Lernpakete, also Hausaufgaben für den alternativen Unterricht, zu entwickeln ist auch eine, sagen wir mal, Herausforderung und wenn mir selbst der Aufbau unseres LMS Spaß macht, weiß ich, dass es für einige Kolleg*innen auch eher schwierig ist. Letztendlich arbeite ich jetzt anders als noch Anfang März. Nicht mehr, nicht weniger - nur anders.

Ich weiß, anders macht erstmal Angst. Normal bedeutet vorhersehbar und anders ist eben nicht normal. Das bedeutet aber auch, dass das Andere, wenn es lange genug anders ist, um vorhersehbar zu sein, normal wird. Wir sind schon fast wieder in der Normalität angekommen, „normal“ heißt halt nur eben nicht „wie früher.“

Die Zahlen sprechen für sich

Im Gespräch mit unserer Schulleitung habe ich erfahren, dass es sowohl im Förderzentrum Classic als auch in dem für Flüchtlinge (und Migrant*innen) keine Corona-bedingten Kündigungen gab, was sich nicht für die ESO als Ganzes sagen lässt. Noch besser: Außer dem Verwaltungs-Team musste auch kein*e Mitarbeiter*in aus den Förderzentren in Kurzarbeit gehen (arbeitsbedingt - dass einige so wie ich Kinder haben und deswegen weniger arbeiten konnten, sei dahingestellt). Wir haben gemeinsam ein Konzept entworfen, mit dem wir beide Förderzentren über den Lockdown und den verminderten Präsenzunterricht gebracht haben. Wir haben sogar während des Lockdowns die Ausschreibung für das FfF gewonnen. Tatsächlich, und damit habe zumindest ich überhaupt nicht gerechnet, sind wir nur minimal hinter den Zahlen zurückgeblieben, die im Herbst 2019 projiziert wurden.

Fazit: "Es geht uns gut"

Deswegen, einmal noch: das haben wir geschafft. Es war anstrengend, aber machbar. Unsere Teilnehmerinnen und Teilnehmer kommen. Und weil die Präsenz freiwillig ist, können wir davon ausgehen, dass sie gerne kommen. Wir bekommen mehr Lernpakete zurückgeschickt, als wir ursprünglich für möglich gehalten hätten. Irgendwas haben wir richtig gemacht.

Um es mit Frau El Shamsy zu sagen: „Es geht uns gut.“

Trotzdem bin ich froh, wenn ich diese Maske nicht mehr tragen muss.


Geschlechtergerechtigkeit gehört zu den Grundsätzen unseres Unternehmens. Sprachliche Gleichbehandlung ist dabei ein wesentliches Merkmal. Für den diskriminierungsfreien Sprachgebrauch verwenden wir in Texten den Gender Star bei allen personenbezogenen Bezeichnungen, um alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einzuschließen. Versehentliche Abweichungen enthalten keine Diskriminierungsabsicht.


Geschlechtergerechtigkeit gehört zu den Grundsätzen unseres Unternehmens. Sprachliche Gleichbehandlung ist dabei ein wesentliches Merkmal. Für den diskriminierungsfreien Sprachgebrauch verwenden wir in Texten den Gender Star bei allen personenbezogenen Bezeichnungen, um alle Geschlechter und Geschlechtsidentitäten einzuschließen. Versehentliche Abweichungen enthalten keine Diskriminierungsabsicht.
Es geht uns gut