Standortleitung und Dozentin im Interview zur Integration
Florian Staab von den Euro-Schulen Minden führte ein Interview mit Jutta Dollereder, der Standortleitung der Euro-Schulen Minden, und Sabine Irrek, Dozentin im Integrationskurs. Sie berichten, wie sie die Lernsituation mit Geflüchteten empfinden:
Frau Dollereder, wie sind Sie in den Euro-Schulen Minden damit umgegangen, dass in den letzten beiden Jahren so viele Geflüchtete nach Deutschland und damit auch hier in den Kreis Minden-Lübbecke kamen?
Natürlich haben auch wir bei den Euro-Schulen sofort begonnen, Kurse zu organisieren. Zunächst Einstiegskurse für Porta Westfalica und Minden in PW-Lerbeck, MI-Bärenkämpen sowie in unseren eigenen Räumlichkeiten am Simeonscarré 2 in Minden.
Die weiterführenden Kurse fanden dann wegen der universellen Erreichbarkeit nur noch in den Räumen in der Nähe des ZOB Minden statt. Da alle Teilnehmer jeweils mit Bustickets ausgestattet wurden, war das nicht nur für uns praktisch, sondern auch für die Teilnehmer ein Mehrwert.
Frau Irrek, wie schätzen Sie die Bedeutung der Kurse für Geflüchtete ein?
Ganz klar, sehr hoch. Sprache und Kommunikation sind der Schlüssel zu Integration. Ohne diese Basis ist es schwer, andere Menschen zu verstehen, anderen Menschen zu helfen oder auch Kontakte zu knüpfen.
Frau Dollereder, aus welchen Ländern stammen die Geflüchteten, die Integrationskurse bei den Euro-Schulen besuchen, bisher hauptsächlich?
Schwerpunktmäßig stammen die Teilnehmer aus Syrien, dem Irak, dem Iran und Eritrea. Bei den ersten Kursen waren dieses auch die ausschließlichen Herkunftsländer.
Frau Irrek, Sie müssen bisher sehr viele Eindrücke durch die vielen Menschen und deren vielfältige kulturelle Hintergründe gewonnen haben, oder?
Das kann ich nur bestätigen. Jedes Land hat seine eigene Kultur – manchmal sogar jeder Landstrich eines Landes. Zudem hat jeder Mensch auch noch seine eigene Geschichte – und viele Geschichten sind geprägt von schlimmen Erfahrungen und Traumata. Am meisten mitgenommen hat uns sicherlich der Tod der Familie eines Teilnehmers auf dem Mittelmeer, als dieser bereits Schüler bei uns war.
Ankommen in Deutschland
Frau Dollereder, wie helfen Sie den Geflüchteten beim Einstieg ins Berufsleben?
Grundsätzlich helfen wir natürlich mit der Vermittlung von Sprachkenntnis und vielen wichtigen Informationen für den Alltag. Leider ist die explizite Hilfe beim Einstieg in das Berufsleben gar nicht Kernbestandteil der Maßnahme, aber wir versuchen natürlich mit vielen kleinen Dingen trotzdem zu helfen – sei es bei der Erstellung von Bewerbungsunterlagen, digitalen Bewerbungsfotos oder dem zur Verfügungstellen unseres Bewerberportals. Auch unsere Jobcoaches kümmern sich hier um die Teilnehmer.
Frau Irrek?
Eine große Hilfe sind die informellen Gespräche in den Pausen. Da wird häufig sehr offen über alles mögliche gesprochen und zwischen Tür und Angel kann häufig ganz praktisch und direkt geholfen werden.
Frau Irrek, wo sehen Sie die Hürden für Geflüchtete, um in unserer Gesellschaft richtig anzukommen?
Ein "Ankommen" in unserer Gesellschaft, also eine richtige Integration, kann aus meiner Sicht nur gelingen, wenn alle Beteiligten nicht ausschließlich innerhalb ihrer Kleingruppe bleiben. Im Mikrokosmos unserer Schule sah man das ganz gut bei den Rauchergrüppchen vor der Tür. Eine richtige "Vermischung" mit anderen Teilnehmern fand anfangs nicht statt. Aber nach einigen Wochen des gemeinsamen Lernens und des Aufeinanderzugehen ist jetzt ein super Gruppengefühl entstanden. Und da ist es egal, welche Nationalität oder Konfession der Einzelne hat. Man hilft sich untereinander.
Grundsätzlich ist es sicher so, dass die Kultur bei uns in Deutschland so ist, dass man nicht permanent dazu neigt, wildfremde Menschen in die eigenen vier Wände einzuladen. Das ist in vielen Herkunftsländern tatsächlich anders. Und in den Asylbewerbern steckt sicher eine große Neugier darauf, wie wir leben, doch es ist gar nicht so einfach, das nur aus dem Lehrbuch heraus zu verstehen. Darum rede ich schon sehr viel über den Alltag in Deutschland.
Frau Irrek, wie kann man als Nicht-Geflüchteter bei diesem Prozess helfen – vielleicht auch durch Kleinigkeiten?
Ich denke, die größte Hilfe wäre es, die Dinge, die mit Asylbewerbern zu tun haben, mit Sachlichkeit, Zurückhaltung, Mäßigung und nicht vorschnell zu betrachten. Viele Unwahrheiten sind im Umlauf und werden von anderen Menschen hochstilisiert. Ungeprüfte Behauptungen aus unseriösen oder anonymen Quellen gerade im Internet sollte man nicht weiterverbreiten.
Viele Dinge kann man mit eigenen Äußerungen eskalieren oder deeskalieren – ich glaube zu den besseren Lösungen führt der Weg der Deeskalation – gerade in einem demokratischen Rechtsstaat wie Deutschland steht uns das gut zu Gesicht.
Ich wurde neulich auf dem Weihnachtsmarkt von Teilnehmern erkannt, die mich und meinen Mann fragten: "Können Sie uns einladen?" Wir schauten uns an, fanden aber auch schnell heraus, dass "Können wir sie einladen?" gemeint war und mussten darüber selbst schmunzeln.
Höhepunkte im Umgang mit den Flüchtlingen
Frau Dollereder, waren Sie etwas stolz darauf, dass der Flüchtling, der Anfang des Jahres eine große Menge Bargeld in einem alten Schrank gefunden und zurückgegeben hatte, seinen Einstiegskurs bei den Euro-Schulen gemacht hat?
[Lesen Sie dazu <link http: www.eso.de minden neuigkeiten detailseite article syrischer-fluechtlin external-link-new-window flüchtling fand>"Syrischer Flüchtling fand 150.000 Euro"]
Ich habe mich sehr über die Meldung gefreut, schreibe das aber nicht dem Umstand zu, dass er seinen Kurs bei uns gemacht hat. Wir haben ihn kennengelernt und ich bin mir sicher, es lag daran, dass er ein netter, ehrlicher und gläubiger Mensch ist. Er hat sich wirklich vorbildlich verhalten und verdient große Anerkennung.
Frau Dollereder, was dominiert bei Ihnen in einer Rückschau auf die bisherigen Kurse: Reibereien unter den Teilnehmern oder (ungewöhnliche) Freundschaften?
Reibereien gab es in der ganzen Zeit eigentlich nur eine – und da ging es zwischen zwei jungen Männern um eine Frau – das hätte also letztlich in jeder Gruppe vorkommen können und war absolut nicht typisch für unsere Integrationskurse.
Wir haben viele positive Erfahrungen im Umgang innerhalb der Gruppe gemacht – einmal zum Beispiel bei Fotoaufnahmen – aber vielleicht erzählen Sie das besser, Frau Irrek?
Frau Irrek?
Manchmal entstehen Gemeinschaften aus Zweckgemeinschaften und vielleicht irgendwann auch Freundschaften. Ein Beispiel sind für mich zwei Teilnehmer – ein Mann aus dem arabischen Raum und eine junge Afrikanerin. Beide wollten gern Fotos in die Heimat schicken, um zu zeigen, dass es ihnen gut geht.
Unsere Jobcoaches machen selten Fotos, bei denen extra cool posiert wird oder in die Kamera gewunken wird, aber auch das funktioniert. Für uns war aber faszinierend, wie selbstverständlich sich diese beiden so grundverschiedenen Teilnehmer anschließend beim Versenden der Fotos geholfen haben.
Frau Irrek, das hört sich an, als ob Ihnen die Teilnehmer richtig ans Herz gewachsen sind?
Das sind sie natürlich. Wir sehen uns ja über eine lange Zeit täglich und da lernt man viele gut kennen und der ein oder andere wächst einem sogar besonders ans Herz.
Vielen Dank für das Gespräch!
Hinweis zur Gender-Formulierung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text nur die männliche Form. Bei allen personenbezogenen Bezeichnungen meint die gewählte Formulierung stets beide Geschlechter.