Sprache, Praxis, Menschlichkeit – Warum Integration im Kopf anfängt
„Die Sprache wurde uns gegeben, um Gedanken auszudrücken, sagt Molière, sie zu verbergen, behauptet Talleyrand, doch gehen beide von der falschen Voraussetzung aus, dass man sie hat“, brachte Curt Goetz den springenden Punkt signifikant zu Papier.
Gute Sprachkenntnisse sind also für alle Migranten eine unabdingbare Voraussetzung, um in Deutschland Fuß zu fassen. Sie brauchen das sprachliche Kommunikationsmittel, um Kontakte aufzubauen und pflegen zu können, um ihre behördlichen Angelegenheiten selbständig zu erledigen und vor allem, um einen Arbeitsplatz zu bekommen. An den Euro-Schulen Chemnitz werden verschiedene Sprachkurse angeboten, um allen Niveaustufen gerecht zu werden: von A2 bis C1.
Am Beispiel unserer aktuellen Jugendintegrationskurse möchten wir skizzieren, warum viele Faktoren eine Rolle spielen, damit Lernende und Lehrende Erfolg und Freude zugleich verspüren.
Mit einem Lächeln lernt es sich besser
Wie im allgemeinen Integrationskurs lernen junge Erwachsene, im Alter von 18 bis 27 Jahren, Deutsch bis zum Sprachniveau B1. Darüber hinaus erfahren sie Wissenswertes über Schule und Ausbildung, Arbeiten und Beruf, Familie und Zusammenleben, Gesundheit und Vorsorge, Kultur und Freizeit. Sie lernen mit Gleichaltrigen in kleinen Gruppen, dabei stehen ca. 1.000 Unterrichtseinheiten zur Verfügung. In einer Praxisphase treten sie mit Bildungseinrichtungen und Arbeitsstellen in direkten Kontakt. Die Lerngruppe der Jugendintegrationskurse I und II in Chemnitz bestehen aus je 18 Teilnehmern. Sie kommen u. a. aus Syrien, Irak, dem Kosovo und Russland.
Die Gruppe besteht aus lerngewohnten Teilnehmern. Die Dozenten kennen ihre Eleven, wissen um subjektive Lernziele und persönliche Lebenssituationen der Sprachschüler. Wichtig ist den Lehrern, dass sich jeder Einzelne als Lerner und als Mensch wertgeschätzt und angenommen fühlt. Jeder soll möglichst die gleichen Chancen und die gleiche – für ihn passende- Förderung erhalten, damit er motiviert bleibt. Die Gruppen sind kooperativ, die Teilnehmer helfen einander und die Lernatmosphäre ist gut, manchmal sehr lebhaft, aber stets freundlich. „Wichtig ist es, eine Atmosphäre zu schaffen, die das Lernen mit einem Lächeln, statt verbitterter Mine in den Fokus rückt. Dazu gehört auch eine Portion Humor, damit der Spaß an der Sache nicht verloren geht – trotz oder gerade wegen des straff gefüllten Lehrplans“, so eine der drei Kursleiterinnen.
Kein „Wenn und Aber“ in bestimmten Grundsätzen
Kein „Wenn und Aber“ bei deutschen Grundsätzen zu akzeptieren, kann bei jeder Gelegenheit gefestigt werden. „Warum heißt es: Sehr geehrte Damen und Herren, nicht Herren und Damen?“, diese Frage wird oft in ähnlichem Zusammenhang seitens der Teilnehmer gestellt. Die Frauen im Kurs lächeln da schon verschmitzt und freuen sich über die neue Wertschätzung und Gleichstellung. Gerade bei Aspekten der Rolle von Mann und Frau, wie auch bei Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, gilt es, des unerschütterlichen Wiederholens nie müde zu werden.
„Kurspartys“, beispielsweise, nachdem eine Sprachniveaustufe absolviert wurde, sind sehr beliebt bei den Teilnehmern. Sie steuern gern landestypische, kulinarische Köstlichkeiten bei. Der bilaterale Austausch über Landeskunde, Sitten und Gebräuche macht sich bei solchen Aktivitäten besonders gut, wie es beiliegende Fotos einer Weihnachts- oder Oster-Back-Party zeigen.
Aufeinander zugehen, Berührungsängste und Vorurteile abbauen, sind nach wie vor die drei Schlagwörter im Bereich Integration.
Präsentationen zum Praktikum überraschen positiv – Fleißarbeit wird belohnt
Um die beruflichen Tendenzen zu festigen oder neu zu justieren, ging es für die Teilnehmer vom 22. Mai bis 9. Juni 2017 in die Praxisphase. Angeboten wurden seitens der Euro-Schulen Chemnitz vier Bereiche: Handwerk-Metallverarbeitung, kaufmännischer Bereich, Hospitation bei den Sozialassistenten und Altenpflege-Azubis an der <link http: www.euroakademie.de chemnitz _blank external-link-new-window akademie>Euro Akademie.
Ein Praktikumstagebuch, das täglich mit den jeweiligen Erfahrungen ausgefüllt werden musste, sollte den Teilnehmern helfen, ihren persönlichen Bericht darüber im Anschluss zu verfassen.
Fachlich und zwischenmenschlich viel gelernt
Gelernt haben die jungen Menschen viel, nicht nur fachlich, sondern auch zwischenmenschlich. Gerade bei den Hospitationen entwickelten sich Freundschaften: „Wir kommen jeden Tag sehr gern. Uns macht es viel Spaß“, sind sich Sebahate und Ewelina, Teilnehmerinnen aus dem Jugendintegrationskurs II der Euro-Schulen, einig. Auch Wajd, der mit den beiden Frauen bei den Sozialassistenten der Klasse 16/18 sein Praktikum absolvierte, freute sich über seine neuen Klassenkameraden auf Zeit: „Sie sind alle sehr nett, niemand wird beleidigt. Ich bin auch immer pünktlich, weil ich gern hierher komme. Besonders schön war das Kennenlernen am ersten Tag, aber jeder Tag ist wie der erste Tag“, lacht der 19-jährige Syrer.
Sein Banknachbar Felix steuert bei: „Es ist schon lustig und interessant, Leute, die man sonst nur über den Gang in ihre Sprachklassenzimmer gehen sieht, persönlich kennenzulernen. Für mich ist Wajd ein ganz normaler Klassenkamerad. Wir verstehen uns gut.“
Einblicke ins Büromanagement
Tabellenkalkulation, Zellen, Formeln, Diagramme erstellen, Geschäftsbriefe nach DIN 5008 und Pressetexte in verschiedenen Layouts tippen: alles, was im Büromanagement gebraucht wird, lernten die Teilnehmer im kaufmännischen Bereich. „Take Care“, die Übungsfirma der Euro-Schulen Chemnitz machte es möglich und zeigte ihnen Vorgänge in den verschiedenen Abteilungen eines Unternehmens auf. Wie gebe ich eine Bestellung auf und wie schreibe ich eine Rechnung? Diese Frage können die jungen Menschen jetzt beantworten und haben zudem ein Bewerbungsanschreiben in der Tasche, zusammen mit ihrem Lebenslauf samt Lichtbild.
Üben der handwerklichen Fähigkeiten
In der Bildungswerkstatt Chemnitz lernten die jungen Menschen Ausdrücke wie entgraten, feilen, bohren, sägen, messen, prüfen, Messschieber, Messbohrschieber und technisches Zeichnen nicht nur als neuen Wortschatz kennen, sondern wendeten ihn auch praktisch an. Am Ende eines von insgesamt sechs Modulen hielten sie ihr eigens gefertigtes „Mensch ärgere dich nicht“-Spiel aus Metall in den Händen. Ausbilder Klaus Werner über seine Praktikanten: „Ich muss sagen, dass Ihre Teilnehmer eine sehr gute Auffassungsgabe haben und wirklich interessiert sind. Auch, was Ordnung am Arbeitsplatz und Pünktlichkeit betrifft, habe ich nichts auszusetzen. Mit dem Übungsstück „Mensch ärgere dich nicht“ erhalten sie einen Gegenstand, der ihnen bis ins Alter bleibt, wenn sie mit ihren Enkeln dasitzen, und wir exportieren ein deutsches Spiel in andere Kulturen.“
Ihre Präsentation hatten die jungen Männer sorgfältig ausgearbeitet und berichteten ihren Mitschülern und Dozenten:
„In der ersten Woche haben wir die Prinzipien des technischen Zeichnens kennen gelernt und dabei verschiedene Metallteile nach drei Ansichten (Vorderansicht, Seitenansicht und Draufsicht) mit einem Zeichenbrett gezeichnet. Herr Werner hat uns verschieden Linienarten erklärt (Volllinie, Freihandlinie, Strichlinie, Strichpunktlinie), die man beim Zeichnen verwendet.
In der zweiten Woche haben wir zuerst den Entwurf des Spiels, das Spielbrett und den Würfel, gemacht und danach aus Metall angefertigt. In der dritten Woche haben wir das Thema "Elektrotechnik" behandelt. Die Begriffe Stromkreis; Leiter und Nichtleiter; Schaltung wurden uns erklärt, damit wir nach Schaltplan verschiedene Schaltungen (Ausschaltung, Wechselschaltung, Serienschaltung usw.) nachbauen konnten. Am letzten Tag wurden wir mit wichtigen Schritten des Lötens vertraut gemacht und haben danach gelötet.“
Großes Lob
So aufgeregt hatte noch keine der drei Dozentinnen ihre Schüler gesehen. Immerhin waren Repräsentanten aus Industrie und Wirtschaft eingeladen, um sich ein Bild von den Praktikumsergebnissen zu machen. Alle Präsentationen, gleich ob als Plakat oder Power Point vorgetragen, konnten sich sehen lassen. Applaus für alle Vortragenden und ein großes Lob seitens der Dozenten ließ die jungen Leute strahlen.
Autorin dieses Beitrages: Kristina Neukirch, Euro-Schulen Chemnitz
Hinweis zur Gender-Formulierung: Aus Gründen der besseren Lesbarkeit verwenden wir im Text vorrangig die männliche Form. Bei allen personenbezogenen Bezeichnungen meint die gewählte Formulierung stets beide Geschlechter.